"Swissness" des Jazz unter besonderer Berücksichtigung des Radios
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Ich möchte mit Ihnen darüber nachdenken, ob eine
so internationale Kultur wie der Jazz das ist, tatsächlich in ein Kleid des Schweizerischen passen
kann, und weil ich von Beruf Historiker und Archivar bin, werde ich das in erster Linie anhand von
Beispielen tun, die ich historisch belegen und einordnen kann.
Als ehemaliger Hobbymusiker und jemand, der die
aktuelle Jazzszene mit Interesse und Freude mitverfolgt, habe ich dazu meine Bedenken, die durchaus
aus meinen historischen Überlegungen heraus spürbar sein dürfen. Ich habe meine Mühe damit, dass
man einer Kultur ein nationales Mäntelchen überzieht, und ich bin auch der Meinung, das Quotenregelung nicht in das Konzept eines Service Public
passen mögen. Hingegen begrüsse ich sehr, dass das
Schweizer Radio Schweizer Jazzschaffen so unterstützt, wie das etwa Peter Bürli seit Jahren aktiv
unternimmt, indem das Schweizer Radio einheimischen Musikerinnen und Musikern Aufnahmestudios, Erfahrung bei der Produktion und Kontakte zur
Verfügung stellt.
In meinen Ausführungen kommt der SRG eine sehr
wichtige Rolle als Kulturförderer zu. Es scheint mir
daher korrekt zu sein, darauf hinzuweisen, dass die
SRG heute mein Arbeitgeber ist (ich bin für die Archive der RTSI verantwortlich), es aber noch nicht
war, als ich die Studien durchführte, deren Ergebnisse ich heute teilweise präsentiere.
Was werde ich also Ihnen heute abend
vortragen?
Erstens möchte ich zeigen, dass ein stark ausgeprägtes nationales Selbstbewusstsein, Swissness also, zu Konflikthaltungen gegenüber dem, was nicht
als eigen empfunden wird, führen kann. Das war der
Fall mit dem Jazz.
Zweitens möchte ich Sie hören lassen, dass eine
starke Identität, ein gutes kulturelles Selbstbewusstsein, tatsächlich zu kreativen Formen führen kann,
die etwas mit der eigenen „Heimat“ zu tun haben,
die dann aber leicht ins borniert unbedeutende abfallen können, wenn diese Identität allzu einfach
und eindeutig wird.
Drittens möchte ich einige Hinweise darauf geben,
wie das Schweizer Radio seit seinen Anfängen auch
ohne Quoten Entscheidendes für den Jazz geleistet
hat – oder hätte leisten können.
Wir befinden uns in den späten dreissiger Jahren
des letzten Jahrhunderts, der Einfacheit halber nicht
in der Schweiz, sondern der Deutschschweiz. In
der Deutschschweiz, die soeben eine Landesausstellung plant, einer Deutschschweiz, die sehr konkreten Bedrohungen kultureller, politischer und militärischer Art von Seiten Deutschlands, ab 1938
Grossdeutschlands, ausgesetzt ist. Es gilt in diesem
Land Eigenheit zu bewahren, will man nicht dem
grässlichen Regime, von dem man zwar noch nicht
das Schlimmste, doch schon genügend Schlimmes
kennt, zum Opfer fallen.
Dies geschieht auf politischer und wirtschaftspolitischer Ebene (ich erinnere an den Schulterschluss
mit der Sozialdemokratie, an den Arbeitsfrieden und
an die Wehranleihe, die auch auf die militärische
Eben verweist), dies geschieht aber sehr stark auch
auf mentalitärer, kultureller Ebene. Die Geistige
Landesverteidigung ist nicht etwa ein Slogan, der
von Historikerinnen und Historikern erfunden worden wäre, um diese Zeit treffend zu bezeichnen. Alle
sprachen von geistiger Landesverteidigung.
Diese Ideologie der Geistigen Landesverteidigung
hatte lange Zeit in der Geschichtsschreibung einen
denkbar schlechten Ruf, vor allem weil aus ihr,
nachdem die Gefahr vorbei war, ein tatsächlich
dummes und gefährliches Vehikel des kalten Kriegs
wurde.
In den dreissiger Jahre, bis in den Krieg hinein, war
die Geistige Landesverteidigung aber ein äusserst
flexibles und differenziertes Instrument, das erlaubte, eine Eigenständigkeit zu behaupten, ohne in allzu simple Vereinfachungen zu verfallen. Ich erinnere bloss daran, dass etwa die Landi in Zürich alles
andere als bloss ein Dörfli war. Vielmehr stand die
Moderne sehr selbstbewusst neben den Ikonen, die
eher auf Traditionelles verwiesen. Bemerkenswert
ist auch etwa die Aussage des Generalsekretärs der
SRG, 1938, es gäbe keine Schweizer Kultur, vielmehr
mache es die Schweiz aus, dass es mehrere Kulturen
nebeneinander gäbe.
Trotzdem: In Momenten grosser Unsicherheit, in
welchen es gilt, eigene Identität in den Vordergrund
zu stellen, ist die Gefahr kultureller Intoleranz und
Ignoranz gross. So entstand um den gerade in Europa aufblühenden Jazz eine lebhafte Debatte. War es
eine Blume oder ein Unkraut, könnte man die Debatte zusammenfassen, um bei der Metapher zu
bleiben.
Schon fast klar ist, dass es sich für die Nationalsozialisten und eine ganze anverwandte Geistesströmung nur um Entartetes, Degeneriertes, Minderwertiges handeln konnte, „Judäobollschewistische
Negermusik“, die sich in keiner Art mit der Disziplin
einer militarisierten Gesellschaft, mit dem arischen
Rassenwahn, mit dem Antisemitismus und etwas
später auch Antiamerikanismus, mit der Verteufelung der städtischen Moderne in Einklang bringen
liess.
Jazz und Swissness: Für jugendliche Söhne aus der
bürgerlichen Elite, etwa dem Basler Deigg, konnte
Jazz Schweiz bedeuten, ein mentalitäres Bollwerk
gegenüber dem als unschweizerisch definierten Nazigeist, Sinnbild für eine Orientierung hin zur freien
Welt, auch zur kapitalistischen Welt, wohin ein
Jahrzehnt früher auch schon ihre Väter gespäht hatten, um Managementmethoden kennen zu lernen.
Der Zusammenhang mit der Politik wird hier nicht
bloss von einem Historiker hergestellt: Auf eine Kritik am Jazz in der Leserbriefecke der Radioprogrammzeitschrift, die wir noch hören werden, reagierte ein Leserbriefschreiber: „Die Sprüche von
P.N. über Jazz tönen wie vor kurzem Sätze in deutschen Tageszeitungen, die amerikanischen Jazz als
eine Orgie aus ‚perversen Urwaldklängen, vermischt
mit blutigem jiddischem Sadismus’ darstellen. Sind
wir nun bei uns auch schon so weit, dass wir eine
Kunstrichtung [...] einfach herunterreissen, weil sie
dem ‚alldeutschen Denken und Fühlen’ wesensfremd ist?“
Ja, diese Kritik am Jazz gab es selbstverständlich
auch in der Schweiz, und nicht bloss, weil man
Deutschland imitierte oder sich an den Nazigeist anpasste, sondern ganz einfach, weil man genauso in
damals fest in Europa verankertes Gedankengut verwickelt war. Swissness und Jazz bedeutete darum
auch: Fremde Einflüsse abwehren, [scheinbar] traditionelle Kultur fördern und schützen: Ein Zürcher
Radiohörer verwehrte sich 1938 vehement gegen
Jazz im Schweizer Programm: „Diese ‚Negermusik’
nämlich, dieses schmachtende Geschrei, dieses
blödsinnige Gelärm ist nicht weniger als harmlos.[...] Wir haben Giftetiketten und ein Reglement
über die Abgabe von Rauschmitteln, [....] aber wir
bedienen immer noch massenhaft, jeden Tag, unser
Volk mit diesem geistigen Gift und reden dabei von
geistiger Landesverteidigung. Ich finde, man sollte
in erster Linie einmal den Geist des Landes gegen
solche hochoffiziellen ‚Gasangriffe’ verteidigen.“
Fatal war diese Haltung für Berufsmusiker aus der
Unterhaltungsbranche, die aus dieser Swissness
ableitete, diese neue Musik nicht erlernen zu
müssen. Allzu lang beriefen sie sich in ihren Fachzeitschriften auf die Schweizerart und vom Publikum verlangten sie eine schweizerische Haltung,
„...auch einmal ein Auge und ein Ohr zu[zu]drücken, wenn sie nicht gerade ausgerechnet das, was
sie im Moment am ehesten reizen könnte, zu sehen
oder zu hören...“ bekomme. In der Zwischenzeit
übten in den Gymnasien Studenten Jazz und sollten
bald den herkömmlichen Unterhaltungsmusikern
zur schwierigsten Konkurrenz werden.
Wir wissen aus zahlreichen Interviews von europäischen Jazzpionieren: Ziel war es bis in die vierziger
Jahre nicht, eigenständige Klänge zu entwickeln, eigene Sololinien zu finden. Nein, das Ideal bestand
darin, so, und genau so wie das amerikanische Vorbild zu spielen, das man von Schallplattenaufnahmen oder mittels Aufnahmen vom Radio immer wieder kopierte. Es könnte nun sein, dass das grosse
kulturelle Selbstbewusstsein, das etwa die Landi
vermittelte, einigen talentierten und gereiften Musikern dazu verhalf, nicht einfach nachzuspielen,
sondern eigene, originelle Klänge zu pflegen und
darin eine wahre Meisterschaft zu entwickeln.
Teddy Stauffer und die Musiker in seinem Umfeld
verstanden es, eine musikalische Moderne mit heimelig-schweizerischem, das aber auch eine Skihütteninternationalität in sich hatte, zu verbinden.
Das Ganze musste aber von dem Moment an zum
Absturz bestimmt sein, da das eigene, das Schweizerische, zum Selbstzweck wurde und der Vergleich
mit der internationalen Produktion abbrach. Das
drückt sich bestens aus in einem „Gedicht“, 1946 in
der Schweizer Musiker Revue auf dem Titelblatt abgedruckt: [fehlt!]
Von allen Anfängen an war das Schweizer Radio als
Service Public definiert und wurde an diesem Prinzip gemessen. Das bedeutete im wesentlichen: Es
musste - gleich dem fliessenden Wasser, sagte man
oft - für alle zugänglich und für alle geniessbar sein.
Zu bedenken ist auch, dass aus technischen und finanziellen Gründen nur ein Programm pro Landessprache realisierbar war, was im übrigen auch dem
Volksgemeinschaftsgedanken entsprach. Das Radio
sollte verbinden, eine Hörgemeinschaft durch alle
Schichten und Generationen hindurch schaffen.
Stark verankert im internationalen, vor allem britischen, Service-Public-Gedanken war auch ein volksbildnerisches Element. Die Bevölkerung sollte zum
guten Geschmack erzogen werden, selbst zum Preis,
dass das Programm nicht gefallen möge.
Ganz ähnlich seiner Haltung auf dem Gebiet der politischen Information versuchte das Deutschschweizer Radio vorerst, ich spreche von der Zeit bis in den
Kriegsanfang hinein, eben wirklich nur Wasser, das
allen behagen konnte, zu reichen. Klare Stellungnahmen wurden vermieden und auf musikalischem
Gebiet hatte man Angst, progressive Jazzklänge
könnten Teile der Bevölkerung verärgern, was übrigens tatsächlich der Fall war, wenn einmal eine Ausnahme gemacht wurde. 1940, dem Jahr also, in welchem eine Zukunft der Schweiz im Dritten Reich
immer wahrscheinlicher wurde, sprach der Generaldirektor der SRG gar ein verbot für „Jazz-Hot“ am
Radio aus, das allerdings nicht eingehalten wurde.
Immerhin, bald einmal tauchte der Gedanke auf,
dass, wenn man ein Gemeinschaftsradio haben
wollte, man dies auch genügend attraktiv gestalten
musste. Denn sonst wanderten die jugendlichen Hörerinnen und Hörer paradoxerweise auf die deutschen Sender ab, die zwar nicht viel Jazz, aber
immerhin ein Jazzsubstrakt anboten. Schon damals
also: kein Service Public ohne public.
Das Deutschschweizer Radio verpasste bis weit in
die fünfziger Jahre hinein die Chance, der Jazzszene
wirkliche Impulse zu geben, so wie das in anderen
europäischen Ländern geschah, so wie das aber
auch die beiden SRG-Schwestern Sottens und Monte
Ceneri taten. Vielmehr förderte es, indem es weitgehend von der internationalen Konkurrenz abschirmte, indirekt eine nationale Eigenproduktion im Namen einer fragwürdigen Schweizer Autarkie.
Die Absenz des internationalen Jazz vom Schweizer
Radioprogramm hatte auch einen kommerziellen
Grund. Die internationale Schallplattenindustrie sah
im Radio eher eine Konkurrenz denn einen Vektor
zur Verbreitung der Unterhaltungsmusik mit interessantem Werbeeffekt. Dies hatte den für einheimische Musiker positiven Effekt, dass es für das Radio
rentabel wurde, eigene Unterhaltungsorchester zu
engagieren. Diese hatten bis zu ihrer Abschaffung in
den achtziger Jahren zwar nicht unbedingt immer
den Effekt eines innovativen und attraktiven Jazz
am Schweizer Radio. Doch boten diese Unterhaltungsorchester zahlreichern Musikern einen sicheren Unterhalt und schufen professionelle Kontakte
für Aktivitäten, die weit über diejenigen des Radiounterhaltungsorchester hinausgingen.
Es ist unvorstellbar, wieder solche Bigbands auf Kosten der SRG zu aktivieren. Doch könnte mit der Popularität von Unterhaltungsshows am Fernsehen
durchaus wieder ein Raum für professionelle Musiker entstehen oder entstanden sein, die bereit sind,
nebst ihrer wahren stilistischen Passion auch professionelle Unterhaltungsmusik zu spielen.
Nicht nur die Unterhaltungsorchester, das Radio generell bot und bietet zahlreichen professionellen
Musikern berufliche Konstanz und somit die Möglichkeit, eine Musik zu pflegen, die nicht zwingend
an kommerziellen Erfolg gebunden ist. Ein gutes
Beispiel dafür ist Jürg Solothurnmann, der durch
seine Aktivität als Musiker und Musikjournalist dem
Schweizer Jazz enorme Impulse verliehen hat.
Im Umfeld dieser Orchester entstand eine Aktivität,
die noch heute von schwer abschätzbarer Wichtigkeit ist: Ddie Hilfe bei der Produktion von Aufnahmen und die aktive Rolle als Konzertveranstalter
und –Promotor. Zusammen mit der Schweizerischen
Landesphonothek haben wir in einer Untersuchung
festgestellt, dass aktuelle Jazzproduktion in der
Schweiz ohne Mithilfe der SRG kaum denkbar wäre.
Immer wieder tritt auf Schallplatten und heute CDBooklets etwa Peter Bürli als Produzent auf, werden
die Aufnahmen in einem Radiostudio gemacht, werden Tontechniker der SRG für Ihre Mitarbeit verdankt. In der italienischen Schweiz wäre es lange
Zeit undenkbar gewesen, Jazzkonzerte internationaler Qualität zu geniessen, wären diese nicht durch
Rete 2 organisiert. Estival Jazz ist zwar eine private
Organisation. Beide Initianten sind Angestellte der
SRG, der künstlerische Leiter, Jacky Marti ist Radiodirektor.
Ich bin schon mitten im Fazit:
Swissness als politische Haltung: Musik schaffen
und hören ist mit einer politisch ideologischen Haltung verknüpft, manchmal stärker, manchmal weniger stark spürbar. In den dreissiger Jahren war Jazz Ausdruck einer Swissness im Sinn einer Amerika
freundlichen Stellungnahme. Heute? Geht es vielleicht gerade aus einer antiamerikanischen Haltung
heraus darum, einen europäischen, schweizerischen Jazz zu schaffen?
Swissness als Eigenständigkeit:Gutes kulturelles
Eigenbewusstsein kann Voraussetzung für eigene,
originelle Klänge sein. Zuviel davon ist Borniertheit
und führt – im besten Fall – zu Bedeutungslosigkeit.
Swissness am Schweizer Radio: Die Zeiten, in welchen das Radio sich mit Argumenten der Volkserziehung oder des nationalen Interessens über eine Publikumsnachfrage hinwegsetzte, waren nicht die
glücklichsten für das Radio und auch nicht für den
Jazz. Wenn der Musikerverband Schutzmassnahmen der einheimischen Produktion forderte, führte
das bestimmt zu keinen kulturellen Höheflügen und
liess professionelle Musiker den Anschluss an die
aktuelle Musik verpassen. Das Radio wiederum verlor den Kontakt zum Publikum, das anderswo die
Musik nach seinem Geschmack fand.
Wichtig und durchaus im Sinn des Service Public,
nämlich der Förderung des einheimischen Kulturschaffens, ist aber die Tätigkeit des öffentlichen Radios – und Fernsehens – als indirekter Mäzen, Arbeitgeber, Vermittler von Know-how und Kontakten,
Konzertveranstalter, und kompetenter, kritischer Beobachter der Szene.
Und hier gilt wie auch bei der Information: Ist die
Heimat das Kriterium, so wird die Information langweilig und lächerlich. Doch besagt eine zynische Regel des Journalismus, ein Toter in der Region habe
den Wert von zehn Toten im Land und noch viel
mehr Toten im Ausland.
Wir sprechen hier vom äusserst lebendigen Jazz.
Und wenn sich Schweizer Musiker im internationalen Vergleich durchzusetzen verstehen, ist es durchaus berechtigt, diesen im eigenen Land etwas mehr
Stimme zu verleihen. Vielleicht wird dann die
Schweiz gelegentlich zum Volk der Jazzfans, wie es
zum Volk der Segler- und Tennisfans geworden ist.
Das ist noch kein Chauvinismus, sondern professioneller Journalismus. Quotenregelungen am Radio
lassen die Schweizer aber noch kühler gegenüber
dem Jazz generell werden. Dies ist gewiss nicht im
Interesse der Schweizer Jazzmusiker.
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